Kazem Mohseni 2017

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MATERIALIEN ZU SEXUALITÄT UND EROTISCHER KUNST – MATERIALS ON SEXUALITY AND EROTIC ART

1.

KLEINE EINFÜHRUNG IN DIE AUSSTELLUNG  „INTIMATE VIEW“ IN DER BOUTIQUE BIZARRE HAMBRG AM 24.06.18  VON DAGMAR PRIEN (Kusthistorikerin)

In diesen Räumen stellen 3 junge Künstler aus, deren Hauptthema die Darstellung des nackten oder nahezu nackten weiblichen Körpers ist.
Der Organisator dieser Ausstellung, Thomas Wälz, hat dazu eingeladen:

Werke der letzten 2 Jahre von Al Bullrich, Selma James und C. Zittermann – Hauptprotagonisten der ‚Kölner Schule der neuen Sinnlichkeit‘ werden in Hamburg  zum 1. Mal präsentiert.

Sie alle vereint eine unbekümmerte, unkonventionelle, doch auch provokante Herangehensweise an das Thema– der Blick auf die Schönheit des weiblichen Körpers – auf die weibliche Sexualität.

Für diese Ausstellung wurden hauptsächlich kleinformatige Bilder gewählt, die die Intimität des Dargestellten noch verstärken, da sich der Betrachter in geringer Distanz zum Bild positioniert.
In fotorealistischer Malweise – geradezu altmeisterlich – gezeichnet in  Aquarell-Mischtechnik entstanden wunderbare Kunststücke.

‚Man hört oft, Schönheit sei subjektiv und manifestiere sich allein im Auge des Betrachters. Dennoch sind die Vorstellungen darüber, was ein schöner Körper ist, vor allem durch die Gesellschaft geprägt.‘ (Zitat: Kunst und Körper; Schönheit; S.14)
Alle 3 Künstler nun sind in der 2. Hälfte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts geboren, gehen somit  durch ihre gesellschaftliche Prägung mit befreiten, frischen Ideen an das Thema heran.

Hauptthema im Schaffen Al Bullrichs (geb. 1989) ist der Exhibitionismus und Voyeurismus in alltäglichen Situationen. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf, Köln, Berlin, Medellin und Buenos Aires.

Selma James (geb. 1988) spannt den Bogen seiner Darstellungen vom Softerotik-Zitat bis hin zu ultra-realistischen Genitalanatomien. Er lebt und arbeitet in Köln, Düsseldorf und Paris.

  1. Zittermann (geb. 1986) arbeitet an der evolutionären Weiterentwicklung des PinUps und überführt es so in eine neue Dimension. Er lebt und arbeitet in Köln, Düsseldorf und Leipzig.

Allen gemein ist die Art der zumeist direkten und frontalen  Auseinandersetzung mit dem weiblichen Körper. Der Betrachter wird einbezogen in intimste Situationen. Er ist Zuschauer oder Zaungast.

Die Darstellung des nackten Körpers begleitet die Menschheit von Anbeginn.
Der liegende weibliche Akt wurde in der Kunstgeschichte vorwiegend mit Vorstellungen sexueller Verfügbarkeit, Verführung oder Unterwürfigkeit verbunden.

Aber ist das hier auch der Fall?

Alle portraitierten Frauen haben oder zeigen vielmehr eine Souveränität und ein Selbstbewusstsein, dass in keiner Weise auf eine Abhängigkeit  bzw. Ausbeutung ihres Körpers deutet.

Sie versinnbildlichen also eine Unabhängigkeit und Eigenständigkeit  in Mimik und Gestik.
Ihre Blicke können lustbetont, provokant, animiert sein – sie machen an.

Die Frauen genügen sich in den Bildern. Dadurch vermitteln sie Souveränität und Macht.
Der Betrachter ist letztendlich der Voyeur. Er offenbart sich im ‚intimen Blick‘ auf die Situation.

Der Blick des Betrachters, und dieser ist nicht nur männlich, verweist unweigerlich – ganz direkt – auf den dargestellten Körper.
Und dieser Blick wird oft erwidert.
Durch den Blickkontakt entsteht eine direkte Ansprache oder Kommunikation. Dieser auf den Betrachter direkt gerichtete Blick ‚nimmt der Szenerie jede Privatheit und zieht den Betrachter mit ins Bild. Auf diese Weise wird (er oder sie) Bestandteil der offenen sexuellen Situation.‚
(Zitat: KUNST: Pornographie, Erotik, Geschlechtliche Identität, Gender. Cornelia Geissler, S3.)

Wir sehen hier nicht nur eine laszive Hingabe, in sich versunkene Blicke, (womit) eine erotische Dimension (eingenommen wird), die ‚sich mit den geheimnisvollen und sinnlichen Aspekten von Sexualität und Geschlechtlichkeit beschäftigt.‘ (Zitat: C: Scheffler, ebda. S1) –
sondern auch eine fordernde, provozierende, aktive und offene Positionierung, einen wachen, unverkrampft fordernden Blick, der, ohne verlegen zu sein, mit seiner intensiven Körperlichkeit, sexuelles Begehren impliziert.
Doch wirkt diese Positionierung aber in ihrer alltäglichen Situation auch wie selbstverständlich.

‚Merkmal von Pornographie ist die völlig offen in den Mittelpunkt gestellte Sexualität. Nichts wird verschleiert oder romantisiert. Die sexuelle Anregung bzw. Befriedigung ist Gegenstand dieser Kunst. (Zitat: C. Scheffler; ebda. S. 1)

Überkommene Bildkonventionen sind also hinfällig geworden.
‚ Die Zeiten, in der Künstler durch pornographische Kunst Fragen nach gesellschaftlicher Moral und Tabus stellen konnten, sind vorbei. Bilder, die direkt aus der Pornographie abgeleitet werden können, sind mittlerweile in der Öffentlichkeit überall als Reklame an Bushaltestellen und auf S-Bahnhöfen zu finden.‘ /Zitat; C. Geissler, ebda., S. 4)

Pornographische Bilder sind im Alltag angekommen.

Wie der Betrachter damit umgeht, ist seine Sache, Angelegenheit.
–              Kann er das Gesehene Wert schätzen?
–              Macht es ihn an? Macht es ihn geil?
Fühlt er sich gar ertappt? Ist er beschämt?
–              Entspricht das Gesehene seinen Moralvorstellungen?
–              Ist sein Blick neugierig, erschrocken, lüstern?

Viel Spaß also beim Betrachten dieser Bilder !!

UND – beim  Betrachten der in Cellophan verpackten nackten Frau – ein Geschenk an unsere Sinne, die angetan sind von derartiger  Sinnlichkeit und  ein Geschenk an die Schönheit.
Die Frau als Geschenk an die Menschheit, die es lohnt, verehrt, umworben und dann erobert zu werden.

2.

LITERATURTIPPS

– Giorgio Agamben: „Nacktheiten“, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 2010

– Nicola Steffen: „Porn Chic“- die Pornografizierung des Alltags, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2014